Hochwürdige Herren und ehrbare Damen, erlaubt, dass ich mich Eurer Gunst anempfehle - in so ehrbarer Weise wie es eine Maid mit rechtschaffenem Herzen kann oder vermag. Auch wünsche ich Euch Wohlergehen und bringe Euch Gottes Segen und den meinen.Da ich schon oft gefragt wurde, wo ich denn herkomme und wie es mir in meinen Lebensjahren zu Beginn des 15. Jahrhunderts erging, erlaubt mir, dass ich Euch an dieser Stelle von den Abenteuern meiner Kindheits- und frühen Jugendjahre berichte.
Ich wurde im Jahre des Herrn 1394 am 16. Tag im April in einem kleinen Dörfchen nahe der Stadt Crowmere in der Grafschaft Norfolk geboren. Dort lebte ich bis zu meinem sechsten Lebensjahr mit meinen Eltern, an die ich jedoch leider kaum noch Erinnerungen habe. Im Spätfrühling anno domini 1400 wurde ich zusammen mit etlichen anderen armen Seelen von französischen Marodeuren aus unserem Dörfchen entführt. Sengend, brennend und plündernd suchten sie damals die Küste Norfolks heim. Sie brachten uns in ein Hafenstädtchen namens Barfleur, wo sie uns für Silber und Viktualien verkauften. Gott und all seine Heiligen nahmen mich unter ihre Fittiche und sorgten dafür, dass ich in gute Hände kam. Ich wurde von einem ehrbaren Paar - dem Maler William Peyntour und seiner Frau Adeliza Knollynge freigekauft. Die beiden waren zufällig des Weges dahergekommen und hatten bemerkt, was mit mir und den anderen Gefangenen geschehen sollte. William und Adeliza behandelten mich nicht nur gut und liebenswert, sondern gerade so, als wäre ich ihr eigener Sprössling. Sie standen damals im Dienst eines Herzoges und hatten bereits zwei Söhne, Hugo und Nicolas. Von den sieben Kindern die Adeliza zur Welt gebracht hatte waren die beiden als einzige noch am Leben. Ich fand es richtig aufregend, dass ich nun plötzlich noch zwei "Geschwister" hatte. Nicolas der etwa vier Jahre älter war als ich, benahm sich mir gegenüber sehr sanft und liebevoll. Hugo, der damals etwa dreizehn war, erwies sich allerdings als böswilliger, neidischer Fiesling. Mein Ziehvater und seine Söhne waren allesamt Maler und ich war immer sehr erpicht darauf sie bei ihrer Arbeit zu begleiten, ... na ja, wenigstens William und Nicolas. Recht bald versuchte ich mich ebenfalls im Skizzieren mit Silberstiften sowie im Malen mit Pinseln und mit der Zeit wurde mir die Kunst des Malens zur liebsten Beschäftigung. Da Vater und Nicolas mich für sehr talentiert hielten, ermutigten sie mich recht ordentlich bei meinen Versuchen. Nachdem wir 1401 mit unserem Herrn, dem Herzog, nach Paris umgezogen waren, erlaubte mir Vater auf mein Drängen eine Lehre als Malerin zu beginnen. Ich musste damit allerdings noch ein weiteres Jahr warten bis ich acht war - das übliche Alter in dem man damals eine Lehre beginnen konnte. Und so wurde ich dann im Frühling anno domini 1402 bei einem Maler und Schreiber, der in St. Denis am nördlichen Stadtrand von Paris sein Atelier hatte, in die Lehre gegeben. Dort traf ich dann auch zum ersten Mal auf Anne-Nicolette, die meine engste Gefährtin, ja meine Seelenfreundin werden sollte. Die nächsten drei Jahre verliefen sehr friedlich. Meine Lehre erschien mir wie eine aufregende Reise in die geheimnisvolle Welt der Malerei. Insbesondere die vielen, zum Teil sehr kostbaren Substanzen die aus fernen und mysteriösen Teilen unserer Welt kamen, faszinierten mich ungemein. Nicht minder begeisterten mich die vielfältigen Möglichkeiten sie in lebhafte Farben zu verwandeln. Dann klopfte eines schönen Tages aus heiterem Himmel der Schwarze Tod an die Pforten unserer Gegend ... und hielt reiche Ernte. Viele Menschen die mir lieb und teuer waren gingen dahin, einschließlich meiner geliebten Pflegeeltern William und Adeliza. Ebenso starben mein ehrbarer Lehrmeister und all seine Hausgenossen. Nur ich blieb verschont. Durch die Gnade Gottes überlebten von den Menschen die meinem Herzen nahe standen, wenigstens Nicolas, Anne-Nicolette und noch ein paar andere die Pestilenz. Nicolas und Hugo, der ebenfalls dem grimmen Schnitter entkommen war, verließen unsere Region und suchten ihr Glück im Süden des Landes. Nicolette und ich wandten uns nach Osten, wo die Pestilenz angeblich nicht so stark wütete. Das erwies sich zwar als richtig, aber anstelle des Schwarzen Todes verheerten dort Banden von plündernden Söldnern das Land. Es war die Zeit des großen Krieges zwischen dem Haus Plantagenet und dem Haus Valois. Nachdem die kriegführenden Seiten sich auf eine Waffenruhe geeinigt hatten wurden große Teile der beiden Armeen aufgelöst, was zur Folge hatte, dass brot- und herrenlos gewordene Söldnerbanden mordend und raubend umherstreiften, und das Land weit von einem tatsächlichen Frieden entfernt war. Trotz dieser Situation und nach vielen, vielen Abenteuern gelangten Nicolette und ich im Herbst des Jahres 1407 in eine fast paradiesisch wirkende Gegend am Rande einer weiten fruchtbaren Flussebene. Soweit das Auge reichte, waren überall Weingärten, Getreidefelder und hier und da saubere, malerische kleine Dörfchen zu sehen. Wir beschlossen in dieser liebenswerten Gegend zu bleiben. Glücklicherweise wurde Nicolette von einem Weinbauern in Dienst genommen und ich fand einen Maler und Schreiber bei dem ich meine Lehre fortsetzen konnte. Nachdem wir zwei Jahre lang Entbehrungen und Unfrieden hatten ertragen müssen, wurde unser Leben wieder ruhig und friedvoll ... ... Bis das Schicksal entschied, mich auf meine bis dahin abenteuerlichste Reise zu senden. Im August des Jahres 1410 - vier Monate nach meinem sechzehnten Geburtstag - geschah etwas sehr Merkwürdiges. An einem glühend heißen Tag bat mich einer der Gesellen unseres Ateliers eine Besorgung für ihn zu erledigen. Ich durchquerte den Hof, ging zum Tor hinaus, schloss es hinter mir und ... stand plötzlich in knöcheltiefem Schnee, auf einer mir völlig fremden Straße. Ihr könnt Euch sicherlich ausmalen wie sehr mich diese Situation verwirrte, insbesondere nachdem ich erfuhr, dass ich mich im Winter des Jahres 2014 befand ... mehr als sechshundert Jahre von der Welt entfernt in der ich noch vor wenigen Momenten gelebt hatte. Zum Glück standen ein paar mitfühlende Seelen in meiner Nähe die recht schnell meine missliche Lage erfassten und alles taten, mich zu beruhigen und mir beizustehen. Es gelang ihnen dann auch tatsächlich hilfsbereite Menschen zu finden die mir bereitwillig Schutz und Obdach gewährten. Bei diesen liebenswerten Seelen handelte es sich um ein Künstlerehepaar das sich ... Ihr werdet es nicht glauben ... auf den Illustrationsstil und die Schriftarten meiner Zeit, die sie Mittelalter nannten, spezialisiert hatten. So konnte ich ihnen bei ihrer Arbeit sogar zur Hand gehen. Neben der Mithilfe beim Malen und Schreiben übernahm ich im Laufe der Zeit aber auch noch andere Aufgaben, wie zum Beispiel die der "Besucherbegleiterin" in der Chronik meiner Künstlerfreunde ... beziehungsweise auf ihrer "Webseite", wie Ihr das im 21. Jahrhundert nennt. Ebenso gebe ich in verschiedenen ihrer Illustrationen und Geschichten die Hauptdarstellerin. Wir hatten uns auf Anhieb gegenseitig ins Herz geschlossen und meine neuen Freunde baten mich, doch bei ihnen zu bleiben. Eine Bitte der ich nur all zu gerne nachkam. Trotz aller Freundschaft und Herzensgüte die sie mir entgegenbringen gibt es da aber einen Punkt der mein Herz zuweilen sehr betrübt ... Ich vermisse ganz fürchterlich meine liebe Gefährtin und Seelenfreundin Anne-Nicolette. Sie blieb im 15. Jahrhundert zurück und ich frage mich, ob ich sie jemals wiedersehen werde ... |
Ryght reverent and worshepful maisters and maistresses, I recomaunde me to yow with alle myn sympyl herte in as lowely wyse as any mayden con or may and sendyth yow Goddis blyssyng and myn.I have been asked many times where I come from and what my life was like at the beginning of the 15th century. Thence, by your leave, I would like to tell you about the adventures of my childhood and early youth.
I was born on the 16th day of April in the year of our Lord 1394 in a small hamlet close to the town of Crowemere in the shire of Norfolk. I lived there with my parents until I was six years old, but alas I have hardly any memories of them. Along with several other poor souls I was abducted from our hamlet by French marauders in late spring of the year 1400. Scorching, burning and pillaging, they ravaged the Norfolk coast. They took us to a harbour town called Barfleur where we were sold for silver and victuals. God and all his saints protected me and procured that I fell into good hands. I was ransomed by a reputable couple - a painter and his wife - who happened to pass by and understood which fate had befallen me and the other prisoners. They treated me not only very lovingly but even like their own offspring. The two of them went by the names of William Peyntour and Adeliza Knollynge and were in the service of a duke. They had already two sons, Hugo and Nicolas, the only surviving two out of seven children to whom Adeliza had given birth. I was very excited to have suddenly two 'siblings'. Nicolas who was about four years my senior turned out to be very affectionate and gentle with me. Hugo, however, was a begrudging and ill-natured meany. He was about thirteen back then. My foster father and his sons were painters and I was always anxious to join them at work, ... well, ... at least William and Nicolas. Soon I started to dabble in sketching with silver pens and painting with brushes and as time went by I became really attached to the art of painting. Father and Nicolas encouraged me in my efforts, since they considered me quite talented. After we had moved with his lordship, the Duke, to Paris in 1401, father allowed me to commence an apprenticeship. However, I had to wait another year until I was eight years old - the usual age at which you could start a professional training back then. And so ... in spring A.D. 1402 I was consigned to the care of a 'limner and scrivener' who had his workshop in Saint Denis in the northern outskirts of Paris. It was there that I first met Anne-Nicolette, my soulmate, who was to become my closest companion. The following three years passed by very peacefully. My apprenticeship seemed to me like one long exciting journey into the secrets of painting. I was particularly fascinated by the numerous substances, some of them very precious, that came from distant and mysterious parts of our world. I was no less fascinated by the various possibilities of turning them into vivid colours. Then one fine day, out of the blue, the Black Death knocked on the doors of our region and brought in a rich harvest. Many of those whom I held dear, including my amiable foster parents William and Adeliza, perished. Likewise did my good master and his whole household. Only I was spared. By the grace of God, of all those who were close to me, at least Nicolas, Anne-Nicolette and a few more survived the pestilence. Nicolas and Hugo, who also had escaped the Grim Reaper, left the region to seek their fortunes in the South. Nicolette and I turned East, where the pestilence was said not to rage so fiercely. This proved to be true. However, instead of the Black Death, mauraudering gangs of disbanded mercenaries ravaged the country. It was the time of the great war between the House of Plantagenet and the House of Valois and although the warring parties had agreed on a truce of arms, the country was far from being at peace. Despite of this situation and after a great many of adventures Nicolette and me made it in autumn of the year of our Lord 1407 to a paradisiacal region on the edge of a wide, fertile river plain. As far as the eye could see, there were vineyards, all sorts of cornfields and here and there clean, picturesque little villages. We decided to stay in this lovely region and luckily found an engagement for Nicolette at a vintner's and another one for me at a limner and scrivener's where I could continue my apprenticeship. After we had experienced two years of struggle and strife our life became quiet and peaceful ... ... Until fate decided to send me on my most adventurous journey yet. In August 1410, just four months after my sixteenth birthday something weird happened to me. On a scorching hot day I was asked by one of the journeymen of our studio to run an errand for him. I crossed the yard of the estate, walked out of the door, closed it behind me and ... stood in ankle deep snow, on a street I didn't recognise. I guess you can understand that I was quite puzzled about this development, especially after having learned that I had ended up in the winter of the year 2014 ... more than six hundred years away from the world I had lived in just a few moments ago. Well, some friendly souls who happened to be standing nearby and understood my predicament did their best to comfort and aid me. They managed indeed to find helpful people who agreed to give me care and shelter . These endearing souls happened to be an artist couple and were ... you won't believe it ... specializing in medieval illustration and calligraphy. Thus I could even help them with their work. We became immediately very fond of one another, and my new friends begged me to stay. A request I gladly obliged. In the course of time I assumed more and more tasks such as acting the 'tour guide' in my artist friend's chronicle ... or 'website' as you call it in your 21st century. I'm also 'starring' in numerous illustrations and storys of my friends. However, there is one aspect that saddens my heart ... I am terribly missing my dear friend and soulmate Anne-Nicolette. She remained in the 15th century and I wonder if I will ever see her again ... |